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Der sogenannte Endo-Belly ist ein häufiges, aber bislang wenig verstandenes Symptom der Endometriose. Es handelt sich um eine schmerzhafte, oft deutlich sichtbare abdominale Schwellung, die sich typischerweise im Tagesverlauf verstärkt und so ausgeprägt sein kann, dass sie einem Schwangerschaftsbauch ähnelt. Anders als bei einem gewöhnlichen Blähbauch, der in der Regel rasch wieder abklingt, kann der Endo-Belly über viele Stunden oder sogar mehrere Tage bestehen bleiben – meist zyklusabhängig, insbesondere in der zweiten Zyklushälfte und während der Menstruation, mitunter jedoch auch unabhängig davon.
Abgrenzung zum Reizdarmsyndrom
In der klinischen Praxis zeigt sich eine deutliche Überschneidung mit dem Reizdarmsyndrom. Studien weisen darauf hin, dass Endometriose-Betroffene ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko haben, zusätzlich mit IBS diagnostiziert zu werden. Diese symptomatische Überlappung erschwert die differenzialdiagnostische Einordnung und kann dazu führen, dass die zugrunde liegende Endometriose lange unerkannt bleibt. Viele Betroffene berichten über eine langjährige Odyssee, bis zur richtigen Diagnose.
Symptomatik und körperliche Belastung
Typisch ist eine schmerzhafte, abdominale Aufblähung, die sich häufig mit weiteren gastrointestinalen Beschwerden wie Verstopfung, Durchfällen oder Schmerzen beim Stuhlgang verbindet. Die Schwellung ist oftmals so ausgeprägt, dass Kleidung im Laufe des Tages nicht mehr passt. Die Mayo Clinic beschreibt Endometriose als chronisch-entzündliche Erkrankung, bei der gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst. Diese ektopen Herde reagieren auf hormonelle Schwankungen, was lokale Entzündungen und Schmerzen auslösen kann – nicht nur im Uterus, sondern auch im Bereich des Darms.
Komplexe Ursachen: Entzündung, Hormone, Mikrobiom und Nervensystem
Die Entstehung des Endo-Belly ist multifaktoriell und Ausdruck eines komplexen Zusammenspiels aus entzündlichen Prozessen, hormoneller Dysregulation, Veränderungen des Darmmikrobioms, neurovegetativer Beteiligung und psychischer Belastung:
Endometrioseherde im Bauchraum erzeugen ein dauerhaft entzündliches Milieu. Dieses reizt umliegendes Gewebe, auch die Darmwand, und begünstigt Wassereinlagerungen. Zugleich beeinflussen die Sexualhormone, insbesondere Progesteron, die Darmmotorik. Da Progesteron entspannend auf die Darmmuskulatur wirkt, kann es zu einer verlangsamten Passage und somit zu Blähungen kommen.
Eine zentrale Rolle spielt auch das Mikrobiom. Bei vielen Betroffenen ist eine Dysbiose nachweisbar, also ein gestörtes Gleichgewicht der Darmflora. Diese beeinträchtigt die Darmbarriere, begünstigt Entzündungen und beeinflusst sowohl Immunreaktionen als auch hormonelle Prozesse. Die Interaktion zwischen Entzündung und Mikrobiom kann einen selbstverstärkenden Kreislauf in Gang setzen, der die Beschwerden aufrechterhält.
Darüber hinaus wird das enterische Nervensystem, auch als „Bauchhirn“ bezeichnet, in Mitleidenschaft gezogen. Chronische Schmerzprozesse führen zu einer Sensibilisierung des zentralen Nervensystems. In der Folge reagiert die Darmwand überempfindlich auf normale Dehnungsreize, was sich als sogenannte viszerale Hypersensitivität äußert. Auch psychischer Stress verschärft das Beschwerdebild. Er wirkt sich nicht nur negativ auf die Darmmotilität aus, sondern verstärkt Entzündung, Dysbiose und Schmerzempfinden.
Weitere Erklärungsansätze für den Endo-Belly
Als mögliche Ursachen werden Endometrioseherde am oder im Darm diskutiert, die direkt die Verdauung beeinträchtigen können. Systemische Entzündungsprozesse, wie sie im Zusammenhang mit Endometriose regelmäßig auftreten, beeinflussen ebenfalls die Darmfunktion. Die Beteiligung vegetativer Beckennerven, die unter anderem für Stuhlgang und Kontinenz verantwortlich sind, kann das Beschwerdebild zusätzlich verschärfen. Zyklische hormonelle Schwankungen wirken sich ungünstig auf die Darmtätigkeit aus, begünstigen Gasbildung und fördern Wassereinlagerungen. Die britische Gesundheitsbehörde NHS betont in diesem Zusammenhang, dass abdominale Schwellungen ein typisches Begleitsymptom der Endometriose darstellen.
Abgrenzung zu anderen Erkrankungen
Ein Endo-Belly unterscheidet sich in mehreren Punkten von einem klassischen Blähbauch. Insbesondere die zyklische Verstärkung der Beschwerden, ihre Dauer, die Intensität sowie die häufige Kombination mit weiteren endometriosetypischen Symptomen wie Unterleibsschmerzen, Fatigue oder Schmerzen beim Stuhlgang machen ihn klinisch relevant. WebMD beschreibt das typische Gefühl bei Endometriose als ziehend oder brennend – anders als beim Reizdarmsyndrom, bei dem die Symptome meist weniger zyklusabhängig sind.
Wichtige Differenzialdiagnosen sind das Reizdarmsyndrom, das durch wiederkehrende Bauchschmerzen, Verstopfung oder Durchfall ohne organisch fassbare Ursache gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zum Endo-Belly treten die Symptome hier typischerweise nicht zyklusabhängig auf. Auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie Laktose- oder Fruktoseintoleranz können ähnliche Beschwerden hervorrufen, sprechen jedoch oft auf eine gezielte Ernährungsumstellung an. Schließlich ist auch die funktionelle Dyspepsie zu berücksichtigen – eine Störung, die mit einer beeinträchtigten Darmbarrierefunktion und milden entzündlichen Veränderungen einhergehen kann.
Ganzheitliche Behandlung: Kombination aus Medizin, Ernährung und Lebensstil
Die Therapie sollte multimodal erfolgen. Schmerzmittel und hormonelle Präparate können Symptome lindern und den Krankheitsverlauf beeinflussen. Die operative Entfernung von Herden, vor allem bei Darmbeteiligung, kann die Entzündungssituation im Bauchraum nachhaltig verbessern.
Neben der medizinischen Behandlung spielt die Ernährung eine zentrale Rolle. Eine antientzündliche, ballaststoffreiche Ernährung mit einem hohen Anteil an frischem Gemüse, gesunden Fetten und entzündungshemmenden Mikronährstoffen wie Omega-3-Fettsäuren, Vitamin C und E, Vitamin D, Zink und Selen ist empfehlenswert. Der Verzicht auf stark verarbeitete Lebensmittel, Zucker, Gluten und rotes Fleisch wird häufig als hilfreich beschrieben. Eine FODMAP-arme Diät, die bestimmte vergärbare Kohlenhydrate meidet, führte in Studien bei einem Großteil der Betroffenen zu einer signifikanten Besserung der Beschwerden.
Regelmäßige körperliche Aktivität und gezielte Bewegungsformen wie Yoga oder hypopressive Übungen unterstützen die Darmfunktion, ohne den Beckenboden zusätzlich zu belasten. Entspannungsverfahren wie Atemübungen, Achtsamkeitspraxis oder progressive Muskelentspannung können helfen, Stress abzubauen und die Bauchmuskulatur zu entlasten. Viele Betroffene berichten zudem über positive Erfahrungen mit Wärmeanwendungen wie Wärmflaschen oder Kirschkernkissen.
Alltag und psychische Belastung
Die Auswirkungen des Endo-Belly im Alltag sind erheblich. Neben den körperlichen Beschwerden berichten viele Betroffene von psychischen Belastungen durch das veränderte Körperbild. Das plötzliche Anschwellen des Bauches kann zu sozialer Unsicherheit führen und die Kleiderwahl einschränken. Hinzu kommen Schmerzen, Völlegefühl und eine reduzierte körperliche Belastbarkeit. Der Leidensdruck ist hoch, insbesondere wenn sich die Beschwerden regelmäßig wiederholen und kaum Einfluss darauf genommen werden kann.
Fazit: Ein ernstzunehmendes Symptom mit therapeutischem Potenzial
Der Endo-Belly ist weit mehr als eine kosmetische Unannehmlichkeit. Er stellt ein ernstzunehmendes Symptom dar, das auf komplexe entzündliche, hormonelle und neurophysiologische Prozesse hinweist. Die Lebensqualität vieler Betroffener wird erheblich beeinträchtigt, sowohl körperlich als auch psychisch. Ein ganzheitlicher Therapieansatz, der medizinische Behandlung, bewusste Ernährung, Bewegungs- und Entspannungstechniken sowie psychosoziale Unterstützung kombiniert, bietet gute Chancen auf Linderung. Wichtig ist, dass der Endo-Belly als Ausdruck einer systemischen Erkrankung ernst genommen wird – in der medizinischen Praxis ebenso wie im gesellschaftlichen Bewusstsein.
Referenzen:
[1] www.webmd.com/women/endometriosis/understanding-endometriosis-symptoms
[2] www.mayoclinic.org/diseases-conditions/endometriosis/symptoms-causes/syc-20354656
[3] medlineplus.gov/endometriosis.html
[4] www.neurogastro.de/de/leitlinien.html
[5] viamedici.thieme.de/lernmodul/11060632/4954749/def%C3%A4kationsschmerzen
[6] www.nhs.uk/conditions/endometriosis/
[7] www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a-2360-4604.pdf
[8] www.tuasaude.com/en/hypopressive-exercises/
[9] Mechsner, Sylvia (2023). Was ist ein Endobelly? Frauenarzt, 64 (8), 496–500
[10] https://natuerlich.thieme.de/natuerlich-gesund/detail/moegliche-symptome-der-endometriose-2079