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Endometriose betrifft in Deutschland schätzungsweise 2 Mio. Menschen – dennoch wird die Erkrankung bis heute medizinisch, gesellschaftlich und politisch vielfach übersehen. In einem aktuellen Fachbeitrag für die Fachzeitschrift „Anthropology of Work Review“ analysieren Anika König und Caroline Meier zu Biesen, wie Endometriose-Betroffene selbst aktiv werden – und was es bedeutet, wenn Aktivismus zur täglichen Arbeit wird.
Im Zentrum des Artikels steht die These: Das Engagement von Endometriose-Betroffenen ist nicht nur Ausdruck von Betroffenheit, sondern oft eine notwendige Form der Arbeit. Die Autorinnen sprechen von „Aktivismusarbeit“ – einer Form unbezahlter Tätigkeit, die mit hoher Verantwortung, zeitlichem Aufwand und strategischem Handeln verbunden ist. Die Grundlage der Analyse bilden ethnografische Beobachtungen und Interviews, unter anderem mit Ursula, die sich seit Jahren in einer Lobbygruppe gemeinsam mit anderen Betroffenen für strukturelle Veränderungen einsetzt.
Engagement mit System – Einblicke in die Praxis
Eine der Interviewpartnerinnen stammt aus unserem Endo.Politisch.Aktiv.-Team. Sie schildert detailliert, wie vielfältig ihr Engagement aufgebaut ist. Sie verfasst und überarbeitet Positionspapiere, recherchiert politische Hintergründe, nimmt Kontakt zu Abgeordneten auf, begleitet Gesetzesinitiativen, organisiert Freiwillige, führt Gespräche mit anderen Endometriose-Organisationen im In- und Ausland – und koordiniert all dies gemeinsam mit den anderen Ehrenamtlichen im Team.
Die Aufgaben ähneln stark professioneller Projektarbeit: Kommunikation, Strategie, Netzwerkarbeit, Teamkoordination.
„Ich mache Freiwilligenmanagement, Onboarding, Abstimmungen mit Politik, internationale Kontakte – alles ehrenamtlich, aber es ist im Prinzip ganz normale Arbeit.“
Besonders wichtig ist ihr die Unterscheidung zwischen klassischem Aktivismus und gezielter Lobbyarbeit:
„Ich sehe mich nicht als Aktivistin im Sinne von Protestaktionen, sondern als Lobbyistin, die strukturelle Veränderungen mitgestalten will.“
Der Fokus liegt auf langfristigen Lösungen – von Gesetzesinitiativen bis hin zu Verbesserungen im Gesundheitssystem.
Wirkung zeigen – trotz unsichtbarer Rahmenbedingungen
Ein Beispiel für den Erfolg dieser Arbeit ist die Bereitstellung von fünf Millionen Euro jährlich für die Endometriose-Forschung – ein politischer Durchbruch, der auf das Engagement zahlreicher Betroffener, vor allem aber auf das ehrenamtliche Team Endo.Politisch.Aktiv. unserer Vereinigung, zurückgeht:
„Das wurde alles ehrenamtlich erarbeitet. Wir haben keine Stellen, keine Mittel. Aber wir haben uns organisiert und Schritt für Schritt aufgebaut, was es braucht.“
Solche Erfolge entstehen trotz großer Herausforderungen: Gesundheitliche Belastungen und Zeitdruck können sich gegenseitig verstärken. Besonders dann, wenn Engagement und berufliche Verpflichtungen zusammentreffen, kann die Belastung durch die Erkrankung zunehmen. Gleichzeitig ist die Arbeit für sie ein Halt:
„An schlechten Tagen hilft es, zu sehen, dass etwas weitergeht. Dass man Teil von etwas ist.“
Warum Aktivismusarbeit (fast) wie Erwerbsarbeit funktioniert
Ein zentrales Thema im Artikel ist die Frage, warum diese Arbeit oft nicht als solche erkannt wird. Viele Aufgaben der Betroffenen ähneln in Struktur und Anspruch bezahlten Tätigkeiten. Sie investieren Zeit in Recherche, Kommunikationsarbeit, Veranstaltungsorganisation oder politische Strategie. Diese Aufgaben sind produktiv, zielgerichtet und gesellschaftlich relevant – also typische Merkmale von Arbeit.
Unsere Interviewpartnerin bringt es auf den Punkt:
„Wenn wir Geld hätten, wäre das ganz normale bezahlte Arbeit. Aber nur weil wir kein Budget haben, ist die Arbeit nicht weniger aufwendig.“
Fazit: Zwischen chronischer Erkrankung und gesellschaftlichem Beitrag
Der Beitrag von König und Meier zu Biesen liefert einen wichtigen Einblick in eine Realität, die im öffentlichen Diskurs kaum vorkommt: Viele Verbesserungen im Umgang mit Endometriose sind das Ergebnis unbezahlter, langfristiger und koordinierter Arbeit von Betroffenen. Diese Arbeit ist nicht nur Ausdruck von persönlichem Engagement – sie gleicht in Organisation, Aufwand und Wirkung vielfach einer regulären Berufstätigkeit.
An diesem Beispiel wird sichtbar, was hinter vielen Entwicklungen steckt, die heute als selbstverständlich erscheinen: strukturierter Einsatz, strategisches Vorgehen – und der Wunsch, für kommende Generationen von Betroffenen etwas zu verändern.

Der vollständige Fachartikel (englischsprachig) ist erschienen in Anthropology & Work Review:
„Activism Was a Survival Strategy: Chronic Illness and the Power of Endometriosis Activism as Work“ von Anika König und Caroline Meier zu Biesen.
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