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Viele Endometriose-Betroffene berichten, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen werden – weder im privaten Umfeld noch im medizinischen System. Dabei geht es nicht nur um Schmerzen während der Menstruation, sondern um eine chronische Erkrankung, die tiefgreifende Auswirkungen auf das gesamte Leben haben kann. Eine deutsche Studie von Olliges, Bobinger und Kolleg*innen aus dem Jahr 2021 hat genau diese Realität untersucht. Besonders daran ist, dass die Forschenden sowohl körperliche, psychische als auch soziale Auswirkungen betrachtet haben – und zwar über den gesamten Zyklus hinweg.
Ein innovativer Studienaufbau – was wurde gemacht?
Die Studie untersuchte 22 Betroffene mit bestätigter Endometriose, die zum Zeitpunkt der Erhebung keine Hormontherapie einnahmen, und verglich sie mit 20 gesunden Kontrollpersonen ohne gynäkologische Erkrankungen. Durch die bewusste Entscheidung, nur Betroffene ohne Hormontherapie einzubeziehen, wollten die Forschenden die Beschwerden möglichst unverfälscht beobachten. Es kamen drei Methoden zum Einsatz: standardisierte Fragebögen zur Erfassung von Symptomen, Ängsten, Depressionen und Lebensqualität, ein Zyklus-Tagebuch, das über vier Wochen hinweg täglich ausgefüllt wurde, und narrative Interviews, in denen die Betroffenen ihre Erfahrungen schilderten. Dieses sogenannte Mixed-Methods-Design ermöglichte es, sowohl vergleichbare Daten als auch persönliche Eindrücke zu erfassen.
Zentrale quantitative Ergebnisse
Bei der psychischen Belastung zeigten sich klare Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Endometriose-Betroffenen wiesen signifikant höhere Werte bei Angst und Depression auf als die gesunden Kontrollpersonen. Auch die Lebensqualität war deutlich reduziert – sowohl im körperlichen Bereich als auch im mentalen Bereich.
Hinsichtlich der körperlichen Symptome zeigte sich besonders im Bereich Schmerz ein signifikanter Unterschied. Während der Menstruation berichteten die Betroffenen die höchsten pelvinen Schmerzwerte (auf einer Skala von 0 bis 100), doch auch an den übrigen Zyklustagen lagen ihre Schmerzwerte deutlich über denen der Kontrollgruppe. Zusätzlich traten Symptome wie Dyschezie (schmerzhafter Stuhlgang) und Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) bei den Betroffenen zyklusübergreifend häufiger auf.
Psychische Symptome wie depressive Verstimmungen oder Ängste konzentrierten sich bei den Endometriose-Betroffenen insbesondere auf die Menstruationsphase. Die Kontrollgruppe zeigte dagegen keine vergleichbaren zyklusabhängigen Schwankungen. Auffällig war auch, dass körperliche Beschwerden wie Müdigkeit oder Gelenkschmerzen bei den Betroffenen über den gesamten Zyklus hinweg erhöht waren.
Qualitative Interviewergebnisse
Die Auswertung der Interviews offenbarte drei zentrale Themen, die das Erleben der Erkrankung prägen.
Im Bereich der physischen Einschränkungen wurde deutlich, dass chronische Schmerzen für viele Betroffene ein ständiger Begleiter sind, der Alltagsaktivitäten wie Arbeit, Sport oder Treffen mit Freundinnen und Freunden massiv beeinträchtigt. Eine Teilnehmerin formulierte es so: „Ich fühle mich oft wie ein Geist meiner selbst – die Schmerzen nehmen mir die Energie, ich bin nicht mehr ich.“
Auch psychosoziale Folgen wurden wiederholt genannt. Viele Betroffene berichteten von Stigmatisierung und Unverständnis im sozialen Umfeld. Das Gefühl, „unsichtbar“ zu leiden, war weit verbreitet. Soziale Isolation entstand häufig dadurch, dass Schmerzepisoden unvorhersehbar auftraten und dadurch verlässliche Planung erschwerten.
Ein drittes zentrales Thema war der Verlust der eigenen Identität. Viele beschrieben eine veränderte Selbstwahrnehmung und das Gefühl, sich selbst nicht mehr zu erkennen. Damit verbunden war häufig eine Trauer über den Verlust des früheren Ichs – über das Leben, das sie vor der Erkrankung führten oder gerne führen würden.
Diskussion und Implikationen
Die Studie macht deutlich, wie komplex und vielschichtig Endometriose ist. Schmerzen stehen häufig im Zentrum und wirken wie ein Verstärker für psychische und soziale Belastungen. Der interdisziplinäre Charakter der Belastung wird in der Studie klar benannt: Körper, Psyche und soziale Teilhabe beeinflussen sich gegenseitig.
Die Autorinnen und Autoren betonen, dass es ganzheitlicher Therapieansätze bedarf, die über die reine Schmerzbehandlung hinausgehen. Psychologische Unterstützung, physiotherapeutische Begleitung, Selbsthilfe und ein verständnisvolles soziales Umfeld sollten integraler Bestandteil einer Endometriose-Behandlung sein.
Gleichzeitig weist die Studie auf ihre eigenen Grenzen hin. Die Stichprobe war klein, und die Konzentration auf Betroffene ohne Hormontherapie erlaubt zwar einen unverfälschten Blick auf Symptome, schränkt aber die Übertragbarkeit auf andere Gruppen ein. Weitere Forschung mit größeren, diverseren Stichproben ist daher notwendig.
Fazit
Diese Studie liefert ein starkes Argument für eine umfassendere Betrachtung von Endometriose in Forschung, Versorgung und Öffentlichkeit. Sie zeigt, dass es nicht reicht, die Krankheit auf Menstruationsschmerzen zu reduzieren. Endometriose betrifft den ganzen Menschen – mit spürbaren Folgen für den Körper, die Psyche und das soziale Leben.
Zusammenfassung
- Endometriose ist mehr als Menstruationsschmerz: Sie kann den gesamten Zyklus betreffen und körperliche, psychische und soziale Einschränkungen mit sich bringen.
- Du bist nicht allein: Viele erleben ähnliche Beschwerden – der Austausch in der Selbsthilfe kann entlastend wirken.
- Ganzheitliche Unterstützung ist wichtig: Neben medizinischer Behandlung können Psychotherapie, Physiotherapie und ergänzende Verfahren helfen.
- Dokumentation lohnt sich: Ein Symptomtagebuch kann helfen, Muster zu erkennen und die Kommunikation mit Ärztinnen und Ärzten zu verbessern.
Referenzen:
Olliges, E., Bobinger, A., Weber, A., Hoffmann, V., Schmitz, T., Popovici, R.M., & Meissner, K. (2021). The Physical, Psychological, and Social Day-to-Day Experience of Women Living With Endometriosis Compared to Healthy Age-Matched Controls—A Mixed-Methods Study. Frontiers in Global Women’s Health, 2, 767114. https://doi.org/10.3389/fgwh.2021.767114
