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Am 16. Juni 2025 wurde die aktualisierte S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Endometriose veröffentlicht. Sie löst die bisher gültige Version von 2020 ab und bringt zahlreiche inhaltliche und methodische Neuerungen mit sich. Für Betroffene lohnt sich ein genauer Blick, denn viele der Empfehlungen wurden konkretisiert, ergänzt oder vollständig neu formuliert – insbesondere in den Bereichen Diagnostik und Therapie.
Wir geben mit diesem Beitrag einen kurzen ersten Überblick. Die komplette Leitlinie ist auf der Webseite der AWMF abrufbar oder kann hier direkt geöffnet werden.
Methodischer Standard
Für die neue Leitlinie wurde eine systematische Literaturanalyse nach einem festen Algorithmus durchgeführt. Die Empfehlungen beruhen auf der derzeit verfügbaren Datenlage.
Diagnostik
Ein zentrales Anliegen der Leitlinie ist es, die Diagnostik praxisnah, symptomorientiert und möglichst schonend zu gestalten. Die transvaginale Sonografie (TVS) hat als primäres Bildgebungsverfahren an Bedeutung gewonnen. Sie kann in vielen Fällen eine Laparoskopie zur Diagnosestellung ersetzen, sofern sie durch erfahrene Ärztinnen und Ärzte durchgeführt wird.
Auch die Magnetresonanztomografie (MRT) wird bei bestimmten Fragestellungen, etwa bei unklarer Symptomatik oder zur Operationsplanung, als ergänzendes Verfahren empfohlen. Die Laparoskopie hingegen wird nun als Methode für spezielle Fälle eingeordnet – etwa dann, wenn die Bildgebung nicht eindeutig ist oder operative Therapie ohnehin geplant wird.
Ergänzt wird das diagnostische Vorgehen durch einen neu strukturierten Abklärungsalgorithmus, der die verschiedenen Wege zur Diagnose übersichtlich darstellt. Außerdem wird die genaue Erfassung der durch Endometriose und Adenomyose bedingten Schmerzen als essentieller Bestandteil der Diagnostik verdeutlicht: „Die Schmerzanamnese ist ein wesentliches diagnostisches und therapeutisches Element bei allen Patientinnen mit Endometriose und chronischen Schmerzen.“ (S. 99)
Therapiekonzept
Die Therapie der Endometriose wurde überarbeitet. Die neue Leitlinie beschreibt ein differenziertes Therapiekonzept, das sich an der führenden Symptomatik, dem Alter, dem Kinderwunsch und der Lebenssituation orientiert.
Hormonelle Therapie
Gestagene gelten weiterhin als Mittel der ersten Wahl. Kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) können alternativ verwendet werden, wenn sie gut vertragen werden. Die Empfehlung für GnRH-Analoga besteht als Erstlinientherapie nur nach operativer Abklärung, oder bei Versagen der Erstlinientherapie und ist mit Add-Back-Therapie einzusetzen.
Schmerztherapie
Die Leitlinie räumt der Schmerztherapie umfassenden Raum ein. Dabei wird zwischen peripherem und zentralem Schmerz unterschieden. Die chronische Schmerzverarbeitung wird als eigenständiges therapeutisches Ziel anerkannt. Ein multimodales Konzept – bestehend aus medikamentöser Behandlung, Physiotherapie, Psychotherapie und edukativen Maßnahmen – wird ausdrücklich empfohlen.
„Liegt bei einer Patientin mit Endometriose eine chronische Schmerzstörung vor, sollte die Schmerzbehandlung im Rahmen einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie angeboten werden.“ (S. 137)
Operative Therapie
Die Indikation für eine Operation wird nicht mehr pauschal, sondern individuell gestellt. Die Entscheidung richtet sich nach Beschwerden, Lokalisation der Endometriose und ggf. bestehendem Kinderwunsch. Besonders bei tief infiltrierender Endometriose (DIE) oder Darmbeteiligung soll die Operation in spezialisierten Zentren erfolgen.
Komplementäre Verfahren
Therapien wie Akupunktur, Phytotherapie, Yoga oder Ernährungstherapie finden in der neuen Leitlinie deutlich mehr Raum. Sie werden nicht nur als ergänzend, sondern je nach Symptomlage als sinnvolle Option eingeordnet – sofern sie von qualifizierten Fachpersonen durchgeführt werden.
Psychosomatik
Besonders begrüßenswert ist, dass die neue Leitlinie auch auf die psychischen Belastungen vieler Endometriose-Betroffener eingeht. Die Begleitung durch Psychotherapie wird nicht nur bei chronischem Schmerz, sondern auch bei Kinderwunsch oder Begleiterkrankungen empfohlen.
„Psychotherapeutische Verfahren, insbesondere die Kognitive Verhaltensthe-rapie und achtsamkeitsbasierte Interventionen, können bei hoher psychischer und/oder körperlicher Symptombelastung empfohlen werden.“ (S. 123)
Versorgung & Selbsthilfe
Auch die Versorgungsstrukturen stehen im Fokus der neuen Leitlinie. Es wird empfohlen, Betroffene möglichst früh an spezialisierte Einrichtungen zu überweisen, um die Diagnose zu sichern und ein individualisiertes Behandlungskonzept zu ermöglichen.
Zudem wird der Wert der Selbsthilfe ausdrücklich betont. Der Austausch mit anderen Betroffenen und die Arbeit von Selbsthilfeorganisationen, wie der Endometriose-Vereinigung Deutschland, werden als wichtige Ergänzung zur medizinischen Versorgung beschrieben.
„Gesundheitsbezogene Selbsthilfe gilt als wichtige Säule im deutschen Gesundheitssys-tem. Der Austausch mit anderen chronisch erkrankten Personen kann die psychischen Belastungen mindern, die Selbstmanagementfähigkeit stärken, das Krankheitswissen verbessen und damit die Krankheitsbewältigung unterstützen“ (S. 209)
Infobox: Die wichtigsten Inhalte im Überblick
Bereich | Neuerung |
Diagnostik | Bildgebung (TVS, MRT) wird der Laparoskopie vorgezogen, wenn ausreichend aussagekräftig |
Therapiekonzept | Individuell, stufenweise und symptomorientiert statt pauschal |
Hormonelle Therapie | Klare Empfehlungen zu Präparaten, Einsatzbedingungen und Monitoring |
Schmerztherapie | Multimodaler Ansatz, Berücksichtigung chronischer Schmerzverarbeitung |
Operation | Nur bei klarer Indikation, bevorzugt in spezialisierten Zentren |
Komplementärmedizin | TCM, Akupunktur, Yoga u. a. werden erstmals evidenzbasiert empfohlen |
Psychosoziale Aspekte | Psychologische Unterstützung ist Teil der Versorgung |
Versorgung & Selbsthilfe | Empfehlungen zu spezialisierten Zentren und explizite Würdigung der Selbsthilfe |
Danke für das Engagement
Ein herzlicher Dank gilt Michelle Röhrig und Kathy Wittek vom Vorstand der Endometriose-Vereinigung. Beide haben viele Stunden ehrenamtlich an der neuen Leitlinie mitgearbeitet, wertvolle inhaltliche Beiträge geleistet und dabei stets die Perspektive der Betroffenen vertreten. Ihr Einsatz hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Erfahrungen und Bedürfnisse von Endometriose-Betroffenen in der neuen S2k-Leitlinie 2025 sichtbarer werden und Gehör finden.
Nachtrag: Dieser Beitrag wurde am 17. Juni 2025 erstmals veröffentlicht und am 02. & 04. Juli 2025 überarbeitet.