Kompressionssyndrome als Differentialdiagnose bei Endometriose und Adenomyose

Dieser Beitrag ist die Zusammenfassung eines Impulsvortrages von Katharina Kugelmeier im Rahmen unserer Jahrestagung 2022, zuerst veröffentlicht in der Dokumentation der Jahrestagung (https://www.endometriose-vereinigung.de/wp-content/uploads/2023/08/Dokumentation-Jahrestagung-2022.pdf).

Katharina Kugelmeier, vielen sicher als @kat.kug von Instagram bekannt, lebt im Westerwald und arbeitet als Redakteurin – unter anderem mit dem Schwerpunkt Ratgeber und Medizin. Außerdem leitet sie mehrere Selbsthilfegruppen.

Was ist ein Kompressionssyndrom?

Als Kompressionssyndrom (hier auf Gefäße bezogen, es gibt auch andere) bezeichnet man die Kompression einer Vene oder Arterie. Diese wird zusammengedrückt, also komprimiert, wodurch der Blutfluss gestört oder verändert wird.

Welche Kompressionssyndrome kommen als Differentialdiagnose in Frage?

Primär sollte man May Thurner, Nussknacker und Dunbar sowie das Pelvic Congestion Syndrom im Auge haben. Die Symptome dieser Kompressionssyndrome sind ähnlich oder identisch zu vielen typischen Endometriose- oder Adenomyose-Symptomen. Vor allem May Thurner wird gern mit Endometriose an den Beckennerven verwechselt. Viele Gynäkolog*innen deuten zudem die Veränderungen durch das Pelvic Congestion Syndrom als Adenomyose. Behandelt man die Kompressionssyndrome nicht und stattdessen eine vermeintliche Endometriose oder Adenomyose, kann das zu einer massiven Verschlechterung und/oder Schäden führen.

Welche Symptome sind typisch für die Kompressionssyndrome?

May Thurner Syndrom: Unterbauchschmerzen, Schmerzen im Sitzen, Schmerzen in Bein und Leiste, Probleme mit Blase und Darm, geschwollenes Bein, schmerzhafte Verdauung und Darmentleerung

Nussknacker-Syndrom: Unterbauchschmerzen, Blut- und erhöhter Proteingehalt im Urin, Blasenprobleme und häufiger Harndrang, Schmerzen in Blase und Darm, Schmerzen im Bein, Darmprobleme und Hämorrhoiden, Krämpfe bei Periode und Sex

Pelvic Congestion Syndrom: Unterbauchschmerzen, Druckgefühl im Unterleib, verstärkte Periode/Ausfluss, Schmerzen im unteren Rücken, Schmerzen im Stehen und Sitzen, schmerzhafter Sex, Blasen- und Darmprobleme

Dunbar Syndrom: starke Bauchschmerzen, Magen- und Darmprobleme, aufgeblähter Bauch, Schwindel, kaum körperlich belastbar, Übelkeit und Erbrechen, Symptome verstärkt nach dem Essen, schmerzhafte Verdauung und Darmentleerung, Durchfall und/oder Verstopfung, Symptome einer Panikattacke ohne Panik, Atemprobleme, Herzrasen

Was genau ist das jeweilige Syndrom?

May Thurner: Die (meist) linke Beckenvene wird durch Arterie und Wirbelsäule komprimiert. Dadurch entsteht ein Rückstau des nach oben zum Herzen abfließenden Bluts in Unterbauch und Becken. Als Umgehungskreislauf bilden sich dadurch Krampfadern und „wilde“ Gefäße im Unterbauch.

Nussknacker-Syndrom: Die Nierenvene wird zwischen Aorta und Arteria mesenterica komprimiert. Dies führt zu einem Rückstau in den Unterbauch und ebenfalls zur Bildung von Umgehungskreisläufen.

Pelvic Congestion Syndrom: Bildung von Krampfadern und „wilden“ Gefäßen im Unterbauch, beispielsweise als Folge von May Thurner oder Nussknacker. Außerdem häufig erweiterte Eierstockvenen/Insuffizienz (auch anderer Gefäße) möglich, mit Rückfluss des Bluts. Abgesehen von Kompressionssyndromen kann ein Pelvic Congestion Syndrom auch nach/durch Schwangerschaft auftreten.

Dunbar Syndrom: Die Oberbaucharterie, die in die Bauchaorta führt und für die Durchblutung der Bauchorgane zuständig ist, wird durch körpereigene Strukturen (Ligamentum, Zwerchfell, Nervengeflecht, Faszien etc.) komprimiert. Dadurch können Gefäße, Nerven und auch Organe geschädigt werden.

Welche Risiken gibt es, wenn man die Kompressionssyndrome nicht behandelt?

Keine Verbesserung der Symptome und Beschwerden ohne Behandlung!

May Thurner: jede OP verschlimmert Schmerzen und Probleme, sehr hohes Risiko von Thrombose (vor allem, wenn Gefäße oder Organe entfernt oder verschlossen werden), Entstehung des Pelvic Congestion Syndrom

Nussknacker: erhöhtes Thromboserisiko, wie bei May Thurner, Entstehung des Pelvic Congestion Syndrom

Pelvic Congestion: Behandelt man das Pelvic Congestion Syndrom ohne Behebung der Ursache, kann es zu einer Verschlechterung und zu erhöhter Thrombosegefahr kommen.

Dunbar Syndrom: Nerven und Gefäße können irreversibel geschädigt werden, häufig starke Gewichtsabnahme (da Essen die Symptome verschlechtert).

Woher kommen Kompressionssyndrome?

Körperhaltung: Eine mögliche Ursache ist die evolutionsbedingte Körperhaltung. Durch den aufrechten Gang entsteht eine mehr oder weniger starke Lordose/Hohlkreuz, die eine Kompression begünstigen kann.

Physiologisch angeboren: durch den allgemeinen Körperbau oder auch durch genetisch bedingte Bindegewebsschwächen (z. B. Ehlers-Danlos-Syndrom)

Narbengewebe: Vor allem beim Dunbar Syndrom ist häufig natürliches Gewebe und/oder verhärtetes Narbengewebe ursächlich. Ob sich dies einfach bildet oder Folge von anderen OPs oder Entzündungen ist, kann dabei nicht immer klar gesagt werden.

Welche anderen Bezeichnungen gibt es?

May Thurner: Cockett-Syndrom, Vena-iliaca-Kompressionssyndrom, MTS, IVCS (englisch)

Nussknacker-Syndrom: Nutcracker

Pelvic Congestion Syndrom: Beckenvenensyndrom, PCS, Ovarialveneninsuffizienz (bei Fokus auf Eierstockvene)

Dunbar-Syndrom: MALS (Median Arcuate Ligament Syndrom), Truncus coeliacus Kompressionssyndrom, Ligamentum arcuarum Syndrom, Harjola-Marable Syndrom

Fragen von Betroffenen im Rahmen der Veranstaltung

An welche medizinische Fachrichtung wende ich mich?

Grundsätzlich sind Gefäßkompressionen in den Händen von Angiolog*innen und Gefäßchirurg*innen am besten aufgehoben. Allerdings kennen sich nicht alle diese Fachärzt*innen auch damit aus, weil sie zu den eher selteneren Erkrankungen gehören.

Kann Dunbar auch den Magen beeinflussen?

Ja, tatsächlich ist das sogar bei den meisten Betroffenen eines der absoluten Hauptsymptome beim Dunbar Syndrom. Das Dunbar Syndrom selbst ist nicht „gefährlich“, aber der häufig damit einhergehende Gewichtsverlust und die Unterversorgung durchaus.

Wie wird denn diese Diagnose gestellt? Bildgebende Verfahren oder nur durch OP?

Primär durch bildgebende Verfahren. Für die erste Diagnose reicht normal ein Farb-Doppler-Ultraschall. Ein Angio-MRT oder Angio-CT kann dann weiter Aufschluss geben. Reinbek hat z. B. ein Video-MRT entwickelt zur Diagnose von Dunbar. Wenn man dann die genaue Durchflussleistung messen will, macht man das in einer Angiografie mit einem Katheter im Gefäß. Hier kann dann theoretisch auch direkt ein Stent gesetzt werden. Nichts davon ist eine wirkliche OP.

Wie kann man die jeweiligen Kompressionssyndrome behandeln? Welche Fachrichtung ist für einen ersten Check die richtige?

Behandeln kann man es nur, wenn man die Gefäße durch einen Stent öffnet (May Thurner, Nussknacker) oder operativ freilegt (Dunbar). Beim Pelvic Congestion Syndrom wartet man nach Behandlung der Ursache erst einmal ab, ob sich die Beschwerden mit der Zeit verringern. Falls nicht, kann man Krampfadern entfernen, verschließen oder Gefäße (z. B. Eierstockvene bei Insuffizienz) verschließen. Das sollte jedoch immer erst nach Behandlung der anderen Kompressionssyndrome geschehen. Eine Verbesserung kann (selten) durch die Verbesserung der Körperhaltung erzielt werden. Manche Ärzt*innen versuchen, durch die Gabe von Blutverdünnern eine Linderung zu schaffen. Das vermindert aber in erster Linie das gesteigerte Thromboserisiko. Ich habe sogar schon gehört, dass ein Arzt (kein Angiologe) auf die Idee kam, ein Blutdruck steigerndes Medikament zu verordnen – ganz schlechte Idee! Stellt man sich ein komprimiertes Gefäß wie einen Gartenschlauch vor, auf dem ein Auto steht, wird klar, wieso diese Behandlungen keine Wirkung haben: Der Durchfluss durch den Schlauch wird nicht besser, wenn das Wasser flüssiger wird oder man den Hahn weiter aufdreht und den Druck erhöht.

Kann das May Thurner Syndrom auch durch eine OP ausgelöst werden?

Nein, das ist nicht möglich, da es physiologisch bedingt ist. Allerdings können die Beschwerden erstmals nach einer OP spürbar auftreten, weil jede OP im Bauch/Unterleib die Gefäßsysteme „verändert“. Teilweise betrifft das dann Gefäße, die der Umgehungskreislauf braucht. (Hat man Stau auf der Autobahn und sperrt dann die Umleitungsstrecken, wird der Stau schlimmer).

Wie häufig sind diese Kompressionssyndrome im Allgemeinen und bei Endometriose-Betroffenen?

Zur Häufigkeit gibt es keine konkreten Zahlen. Beispielsweise haben nur ein Prozent derjenigen Patient*innen, bei denen das Ligamentum über dem Truncus coeliacus kreuzt, ein Dunbar Syndrom mit Kompression. Aber nicht bei jedem Menschen kreuzt es überhaupt an der Stelle. Bei May Thurner weiß man, dass rund 20 % aller tiefen Beinvenenthrombosen darauf zurückzuführen sind. Bis vor einiger Zeit wurde es auch fast ausschließlich in diesem Zusammenhang diagnostiziert, weil die Symptomatik so unbekannt war, dass niemand zum Angiologen ging, um es abklären zu lassen. Zu Nussknacker gibt es gar keine Zahlen, weil es noch seltener ist. Ein Pelciv Congestion Syndrom ist fast immer die Folge eines anderen Kompressionssyndroms (besonders May Thurner) oder seltener einer Schwangerschaft. Vor allem symptomatisch ist es eher Folge anderer Kompressionssyndrome. Bei Endometriose-Betroffenen sind vor allem May Thurner, Nussknacker und das Pelvic Congestion Syndrom häufiger zu finden, was aber nicht an einem direkten Zusammenhang liegt, sondern vermutlich eher daherkommt, dass die Patient*innen besser untersucht werden und durch die Informationen der Community proaktiv solche Dinge abklären lassen. Dass die schmerzbedingte Schonhaltung ein May Thurner Syndrom begünstigt, ist ebenfalls denkbar. Aber nicht auslösend, sondern verstärkend.

Muss man zu unterschiedlichen Angiolog*innen?

Ja, sollte man unbedingt, da sich die wirklichen Spezialisten auf eines oder zwei ähnliche der seltenen Syndrome spezialisiert haben. Daher sollte man immer zur*zum jeweiligen Spezialist*in gehen, denn niemand kann alles gleich gut können. Und wer das erkennt und sich spezialisiert und fokussiert, ist dann in seinem Bereich auch wirklich gut.