Endometriose: Wenn der Schmerz zur Regel wird

Eva Walle, ehrenamtliches Mitglied der Arbeitsgruppe Endo.Politisch.Aktiv. gab „für mich“, dem Mitgliedermagazin der IKK Südwest, ein Interview. Eva spricht dabei über ihren Weg zur Diagnose Endometriose, ihren persönlichen Umgang mit der Krankheit und ihr Engagement in der Endometriose-Vereinigung. Lest hier das vollständige Interview.

Quelle: für mich – Mitgliedermagazin der IKK Südwest, Ausgabe Februar 2024.

Im Durchschnitt dauert es ganze sieben bis zehn Jahre, bis eine Betroffene die Diagnose Endometriose erhält. Und das, obwohl die Weltgesundheitsorganisation WHO von mittlerweile 190 Millionen Betroffenen weltweit ausgeht. Um dem stillen Leiden vieler Frauen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, haben wir mit Eva Walle gesprochen, selbst Betroffene und Mitglied des Endometriose-Vereinigung Deutschland e. V. Sie beschreibt ihren Weg zur Diagnose, ihren persönlichen Umgang mit der Krankheit und ihr Engagement in der Endometriose-Vereinigung.

Foto: IKK Südwest

Frau Walle, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Wie lange hat es bei Ihnen bis zur Diagnose Endometriose gedauert?

Hallo und vielen Dank, dass ich über dieses wichtige Thema sprechen darf. Ich falle bei meiner Diagnosedauer ein wenig aus der Statistik. Bei mir hat es tatsächlich fast 23 Jahre gedauert, und dann war es auch eine zufällige Entdeckung.

Ich war im Frühjahr 2021 wegen andauernder stärkster Unterleibsschmerzen bei meinen Gynäkologen, die im Ultraschall eine sehr große Schokoladenzyste am Eierstock und ein Myom an der Gebärmutter entdeckt hatten. Aufgrund der Größe und der starken Schmerzen wurde mir zügig zu einer Operation geraten. Dieser „Routineeingriff“ wurde bei mir jedoch nicht in einem spezialisierten Endometriose-Zentrum durchgeführt, da der Begriff zu dem Zeitpunkt noch nicht gefallen war.

Ich selbst hörte den Begriff „Endometriose“ zum ersten Mal, als ich nach einer knapp vierstündigen Operation frisch aus der Narkose erwacht war und es hieß, dass ich Endometriose habe und auf natürlichem Weg keine Kinder mehr bekommen könne. Endo … was? Nachdem ich wieder zu Hause war – leider mit nicht geringeren Schmerzen, dafür jedoch völlig hilflos und überfordert –, begann ich zu recherchieren, was diese Diagnose für mich bedeutet.

Wie sah Ihr Weg dahin aus? War es der oft zitierte Ärztemarathon?

Der war es. Ich hatte von Beginn meines ersten Menstruationszyklus heftigste Schmerzen und viele weitere Probleme. Anfangs beschränkten sie sich auf die Zeit der Blutung. Ich hatte Unterleibskrämpfe, Rücken- und Gliederschmerzen, ständige Durchfälle und Verstopfung im Wechsel und massive Kreislaufprobleme, die durch die heftigen Blutungen sogar Bewusstlosigkeit hervorrufen konnten.

Trotzdem nahm mich niemand ernst. Das wurde alles als normal abgetan, ich solle mich nicht so anstellen. Nachdem ich das erste Mal mit 16 Jahren den Gynäkologen gewechselt hatte, verschrieb dieser mir die Pille, unter der sich die Symptome kurzfristig besserten. Allerdings fiel auch hier nie das Wort „Endometriose“.

Im weiteren Verlauf weiteten sich die Probleme immer mehr aus und traten auch außerhalb der Menstruation auf. Ich war ständig erschöpft und hatte immer wieder Blasenentzündungen, die mit Antibiotika behandelt wurden, aber einfach nicht verschwanden. Ich war völlig am Ende – trotzdem hörte ich immer wieder nur: „Stell dich nicht so an. Das ist normal. Du bildest dir das nur ein. Geh doch mal zum Psychologen.“

Warum ist die Krankheit Ihrer Meinung nach noch so unbekannt? Und vielleicht sogar unterschätzt?

Hier trifft das Buch von Prof. Dr. Sylvia Mechsner, einer der führenden Endometriose-Expertinnen mit langjähriger Erfahrung in Forschung und Praxis an der Berliner Charité, den Nagel auf den Kopf. Sie beschreibt darin, dass sowohl die Patientinnen als auch die behandelnden Ärzte die Vielzahl der oft diffusen Symptome nicht richtig zu deuten wüssten und es keine gute interdisziplinäre Vernetzung gebe. Welcher Orthopäde fragt denn beispielsweise nach zyklischen Schmerzen, wenn sich ihm eine Patientin mit Rückenproblemen vorstellt?

Zudem betrifft die Erkrankung hauptsächlich Frauen. Der viel beschriebene Gender-Health-Gap* kommt hier voll zum Tragen. Zudem braucht es viel mehr Aufklärung im Schulunterricht und mehr Vorlesungen im Studium, denn nicht wenige Ärzte können mit dem Begriff „Endometriose“ gar nichts anfangen.

Und zu guter Letzt müssen die Betroffenen mit ihren Beschwerden ernst genommen werden. Das ist in meinen Augen das größte Problem.

Was können Betroffene tun, um Beschwerden zu lindern? Was hilft Ihnen am meisten?

Generell gibt es zwei übergeordnete Behandlungswege: die medikamentöse und die operative Therapie. Diese werden durch zahlreiche komplementäre Therapiemöglichkeiten ergänzt. Ausschlaggebend für die Behandlung sind das Ausmaß der Beschwerden und die Einschränkungen durch die Endometriose sowie die persönlichen Behandlungsziele. Ich würde hier immer zuerst mit meinem Gynäkologen und Hausarzt des Vertrauens sprechen und einen gemeinsamen Behandlungsplan erarbeiten.

Mir persönlich hilft eine Kombination aus Hormontherapie zur Eindämmung der Endometriose, medizinischem Cannabis, Schmerzmitteln und Akupunktur zur Schmerztherapie. Zudem eine ausgewogene, entzündungsarme Ernährung sowie Physiotherapie, Osteopathie, Bewegung und Wärme zur Lockerung der Muskulatur und des vernarbten Gewebes.

Welche Tipps haben Sie für Frauen, die zwar Beschwerden, aber noch keine Diagnose haben?

Sprechen Sie mit Ihrem Gynäkologen über Ihre Beschwerden und Ihren Verdacht. Nimmt er Sie nicht ernst, wechseln Sie den Arzt – so drastisch das vielleicht im ersten Moment klingt. Keine Frau sollte sich mit Schmerzen durch ihren Alltag quälen, denn Schmerzen sind nicht normal.

Suchen Sie sich Unterstützung in der Familie, im Freundes- und Kollegenkreis. Sprechen Sie offen über Ihre Beschwerden. Und nehmen Sie auch gerne das kostenlose Beratungsangebot der Endometriose-Vereinigung Deutschland e. V. in Anspruch. Dort wurden mir damals unendlich viele Tipps gegeben und Hilfestellung angeboten.

Dort sind Sie seit einiger Zeit auch selbst tätig. Was ist das Ziel des Vereins?

Wir sind mit über 3.000 Mitgliedern die größte und älteste Vereinigung von Endometriose-Betroffenen in Deutschland. Endometriose ist eine Volkskrankheit und damit auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir möchten, dass alle Endometriose-Betroffenen in Deutschland die für sie beste Versorgung erhalten und sie mit ihrer Erkrankung ein lebenswertes Leben haben.

Das versuchen wir zu erreichen, indem wir aufklären und über die Auswirkungen von Endometriose informieren. Wir unterstützen Endometriose-Betroffene und Selbsthilfegruppen bundesweit – durch Information und Beratung, aber vor allem auch Austausch. Wir arbeiten auch mit medizinischen Fachgesellschaften zusammen und zertifizieren medizinische Endometriose-Einrichtungen nach den Kriterien der Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung. Zudem sind wir politisch tätig und versuchen, gesundheits- und sozialpolitische Entwicklungen im Sinne Betroffener anzustoßen und mitzugestalten.

Was wünschen Sie sich in Bezug auf Endometriose für die Zukunft?

Als Volkskrankheit ist Endometriose ein Problem, das wir gesamtgesellschaftlich betrachten und angehen müssen. Wir brauchen viel mehr Geld für die Erforschung der Erkrankung, erweiterte Therapieoptionen, mehr Aus- und Weiterbildung auch für Ärzte und Behandler und vor allem Zeit und offene Ohren für die Betroffenen.

Langfristig brauchen wir eine nationale Endometriose-Strategie, wie es uns unsere direkten Nachbarn in Frankreich vorgemacht haben, und auch viel mehr Vernetzung auf europäischer und internationaler Ebene. Denn nur gemeinsam können wir der Endometriose begegnen und das Leben für die Betroffenen wieder lebenswert gestalten.

* Anm. der Redaktion: Der Gender-Health-Gap beschreibt die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen in der medizinischen Behandlung.